Antigua, Guatemala, 17. August 1997
Heute ist mein letzter Tag in Guatemala und ich habe etwas Zeit, mich auszuruhen und mich wieder auf mein `normales' Leben vorzubereiten. Ich habe eine Woche in Antigua in einer Spanisch-Schule verbracht, und danach drei Wochen in Quetzaltenango. Jede Woche habe ich ein paar neue Freunde kennengelernt, und jede Woche sind auch welche abgefahren. In der letzten Woche habe ich mir noch ein paar Tage freigemacht, um mit ein paar Freunden an den Atitlán-See zu fahren, aber die sind gestern auch schon alle abgeflogen.
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Guatemala ist unter den Mittelamerikanischen Ländern einzigartig wegen seiner Kultur, seinen Vulkanen und seinen Textilien. Mit einem Anteil von 60% Mayas an der Bevölkerung ist hier die prä-kolumbianische Kultur noch sehr stark vertreten, wenn sich auch die Auswirkungen von 500 Jahren Diskrimination und 30 Jahren Bürgerkrieg überall spüren lassen. Vor allem außerhalb der Städte, in Dörfern wie Santiago Atitlán, spricht die ländliche Bevölkerung oft kein Spanisch, sondern eine von den 30 indianischen Sprachen. Andererseits ist in den Städten die `Ladino', also die lateinische Kultur, prävalent. Der Bürgerkrieg bestand im Großen und Ganzen aus 30 Jahren Massaker - einer gut ausgerüsteten Ladino-Armee gegen nur mit Buschmessern bewaffnete Mayas. Oppositionelle Schriftsteller, Journalisten oder Politiker wurden oft von der Armee `verschwunden', und ich habe mit Leuten gesprochen, deren Freunde oder Familienangehörige auf diese Weise abhanden kamen. Heute, nach dem Friedensabkommen vom letzten Dezember, ist hier Erleichterung und ein bißchen Hoffnung zu spüren, wenn auch das Vertrauen in den Staat noch nicht sehr groß ist. Das größte Problem sind jetzt die ehemaligen Soldaten und Geheimpolizisten, die ihren Job verloren haben und nicht auf zivile Berufe vorbereitet sind; das gleiche gilt natürlich für ehemalige Guerilleros. Wegelagerei und bewaffnete Überfälle sind jetzt an der Tagesordnung.
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Trotzdem darf man sich dieses Land nicht als Kriegszone vorstellen. Wir wissen ja, daß auch die Vereinigten Staaten ihre sozialen Probleme haben, und ehrlich gesagt fühle ich mich hier sicherer als in Philadelphia. Ich sitze gerade auf einer Bank im Zentralen Park in Antigua, wo die Bäume einen angenehmen Schatten werfen. Das Klima ist hier, trotz der Nähe zum Äquator, nicht zu heiß, da wir hier im Bergland etwa 2000m über dem Meeresspiegel sind. Entsprechend muß man sich natürlich vor der Sonneneinstrahlung schützen. Ich höre die zeitlosen Rhythmen einer Truppe von Trommlern, die sich neben einem Springbrunnen niedergelassen haben. Jemand macht Seifenblasen. Maya Frauen und Kinder kommen in ihren farbenprächtigen Trachten vorbei und bieten allerhand Textilien an, die sie auf dem Kopf balancieren. Ein paar `Gringos' (meist kurze-hosen-tragende Amerikaner oder Europäer) kaufen Flöten, Halsketten, Teppiche, Nüsse.
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Guatemala, wie der Rest Mittelamerikas, ist vulkanisch sehr aktiv. Es gibt hunderte von großen und kleinen Vulkanen, von denen viele aktiv sind. In Antigua gibt es wegen der vielen Erdbeben keine mehrstöckigen Gebäude. Ehemals die Hauptstadt Guatemalas in der Kolonialzeit, wurde Antigua von Erdbeben weitgehend zerstört, so daß die Hauptstadt in die heutige Stadt Guatemala verlegt wurde. Es gibt hier noch etliche Kirchen aus der Kolonialzeit, meist mit Rissen in den Wänden und eingestürztem Dach. Heute ist Antigua hauptsächlich für seine Sprachschulen bekannt und verdient seinen Spitznamen `Gringotenango' (etwa: Touristenhausen). Quetzaltenango (das auch unter seinem alten indianischen Namen Xela (sprich Schela) bekannt ist), ist viel größer und weniger Tourismus-orientiert. Ich habe fast drei Wochen dort verbracht. Vor 2 Wochen war ein kleines Erdbeben
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Der Lebensstandard ist in Guatemala wie anderswo in der `dritten Welt', relativ niedrig. Man darf kein Klopapier in die Toilette werfen, weil das die Rohre verstopft. Statt dessen steht immer ein kleiner Eimer bereit. Das Leitungswasser ist nicht genießbar, so daß man sich die Zähne mit Mineralwasser putzt. Heißes Wasser, z. B. zum Duschen, gibt es mittels recht gefährlich aussehender elektrischer Vorrichtungen am Duschkopf. Die Häuser sind recht einfach und bestehen häufig aus einem Innenhof, um den herum verschiedene Räume gruppiert sind entlang einer Außenmauer. Da das Klima während des ganzen Jahres gleich bleibt, braucht man weder Heizung noch Isolation. In einigen etwas abgelegeneren Gegenden kommt es auch vor, daß es keinen elektrischen Strom oder fließendes Wasser gibt. Selbst in Xela fiel der Strom fast täglich aus. Um eine Telefonleitung zu installieren, muß man bis zu zwei Jahre warten.
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Aber trotzdem läßt es sich hier gut leben, wenn man sich auch manchmal wie im Zeltlager fühlt. Das Essen ist billig und reichlich vorhanden, und unter der Bevölkerung hier scheint niemand Hunger zu leiden. Meine beiden Gastfamilien waren nett, wenn auch die in Antigua herzlicher war. Man reist entweder per Bus, oder, wenn man zu viel Geld hat, per Minivan. Die Busse, auch Hühnerbusse genannt, sind ausrangierte Schulbusse aus U.S.A. oder Kanada, die am Dach mit einem Geländer ausgestattet sind, denn dort oben wird das Gepäck transportiert. `Gepäck' sind Koffer, Rucksäcke und Bündel, aber auch Hühner, Hunde und Schweine. Die Busfahrer arbeiten auf eigene Rechnung und fahren nicht ab, bis nicht mindestens 3 Fahrgäste pro Sitzplatz zugestiegen sind.
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Die Leute sind fast immer freundlich und freuen sich, daß man ihr
Land besucht, sich für die Kultur interessiert, etc. Viele
fühlen sich persönlich dafür verantwortlich, daß man
von ihrem Land einen guten Eindruck bekommt. Auf dem Weg nach Xela hat
mein guatemalischer Sitznachbar es sich nicht nehmen lassen, mich bis
zur Schule zu begleiten, und sogar meinen Fahrpreis in einem Stadtbus
(etwa 12 Pfennig) übernommen.
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Ich habe nochmal etwas Zeit, in etwas mehr Detail zu erzählen, was ich hier so gemacht habe. Ich bin hier Freitag abends angekommen, noch in der gleichen Woche, in der Jeny und ich Darmstadt verlassen
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Montag, zurück in Antigua, fing dann der Sprachunterricht an. Mit vier Stunden täglich und einem Schüler pro Lehrer war dieser
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Am Samstag fuhr ich mit einer Freundin, Carola, an den Atitlán See. Von Panajachel, einer Stadt mit Touristenmarkt, fuhren wir mit einem Boot über den See nach Santiago, wo gerade ein Fest war. Im Hinterzimmer eines Geschäftes trafen wir eine betrunkene Musikkapelle, die von Haus zu Haus zog, um die gleichen drei Lieder zu spielen. Carola konnte schon sehr gut Spanisch und im Nu hatte uns die Blaskapelle eingeladen, mit ihnen von Haus zu Haus zu ziehen. Im nächsten Haus kamen wir in einen festlich geschmückten
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Sonntag fuhr ich nach Chichicastenango, einer Stadt in den Bergen, wo
Donnerstag und Sonntag Markttag ist. Auf diesen Märkten verkaufen
sie farbenprächtige handgemachte Sachen, vor allem handgewebte
Textilien in verschiedenen traditionellen Mustern. Der Markt in Chichi
ist besonders groß, aber nach einer Woche hatte ich noch nicht so
viel Lust, viele Sachen zu kaufen.
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Sonntag abend fuhr ich nach Xela weiter und wurde bei meiner neuen Familie einquartiert. Montag bis Freitag war wieder Unterricht, diesmal 5 Stunden täglich, und nachmittags gab es Aktivitäten, z. B. Vorlesungen über den Bürgerkrieg,
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Sonntag sind wir dann auf besagten Vulkan Santa Maria gestiegen. Santa
Maria ist inaktiv, aber einer der höchsten Vulkane in der
Gegend. Es ging morgens um 5 Uhr, vor Sonnenaufgang, los. In einer
Gruppe von 12 Personen, mit Führer, dauerte der Aufstieg etwa 4 -
5 Stunden, und wir wurden mit gutem Wetter belohnt. Zum Glück
hatte ich einen Hut, denn in 3000 m Höhe am 15. Breitengrad, kann
einem schon die Sonne etwas anhaben. Vom Gipfel aus haben wir bis
nach Mexiko und bis an den Pazifik gesehen. Der Höhepunkt der
Tour war, als der benachbarte Vulkan Santiagito vor unseren Augen
ausbrach und eine 1000 m hohe Dampfwolke in den Himmel aufstieg.
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Dienstag fuhren ein paar Studenten mit ihren Sprachlehrern zu einer Thermalquelle. Es gab dort ein Schwimmbecken, das direkt von der heißen Quelle gespeist wurde, und wir haben dort mehrere Stunden gebadet, umgeben von Felsen und üppiger Vegetation. Dienstag abend war eine Tanzklasse. Samstag haben wir `Habitat for Humanity' geholfen, ein Haus zu bauen. Dies ist eine internationale Organisation (unter der Schirmherrschaft von Ex-Präsident Jimmy Carter), die anhand von freiwilligen
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In der nächsten Woche habe ich nur 15 Stunden Sprachunterricht gemacht und bin Dienstag nachmittag mit Freunden losgefahren, um noch ein paar Tage am Atitlán See zu verbringen. So hatten wir noch ein paar recht erholsame Ferientage. Wenn Hotels weniger als $5 pro Nacht kosten, kann man sich das auch erlauben. Allerdings hat mich dann in der letzten Woche auch die Kaufwut gepackt, so daß ich nicht nur mein Geld restlos ausgegeben habe (ich hatte ja leider keine Kreditkarte dabei, weil diese in Polen verloren ging), sondern auch innerhalb einer Woche mein Gepäck verdoppelt habe. Aber das macht nichts, ich mußte ja eh Klamotten kaufen und billiger wird es nicht als hier. Gestern (Samstag) habe ich meine Freunde in Guatemala am Flughafen verabschiedet, und da mein Flug erst morgen ist, hatte ich jetzt noch zwei Tage alleine in Antigua - morgen früh um 4 Uhr gehts per Minibus zum Flughafen. Die 50 Quetzal Flughafengebühr habe ich sicher weggesteckt und den Rest komplett ausgegeben, so daß ich jetzt nur noch abzuwarten habe.
Updated Apr 1, 2000